Mittwoch, 28. September 2016

Nicht auf der Hauptbühne – Kommentar zum Jenke Experiment vom 26.09.16


Eigentlich habe ich die Sendung „ Das Jenke Experiment“ auf einem deutschen Privatsender letzten Montag aus Interesse verfolgt. Es war nicht meine Absicht darüber zu schreiben. Einen Tag später stiess ich aber auf einen Kommentar von Maja Zivadinovic, Fernsehexpertin auf Bluewin. Diesem Kommentar möchte ich nun jenen einer Pflegehexe gegenüber stellen, die zwei Jahre Menschen mit Essstörungen begleitet hat.

Jenkes Experiment (er verzichtete während 28 Tagen auf feste Nahrung) zeigt eines eindrücklich: Der Wille, so wenig wie möglich zu essen verselbständigt sich. Und plötzlich ist es nicht mehr der Wille eines Menschen auf Nahrung möglichst zu verzichten, sondern ein Zwang. Es ist unglaublich schwierig, diesen Zwang in Denken und Handeln wieder los zu werden. Darüber hat das Jenke Experiment jedoch nur wenig berichtet. Schade, denn gerade hier wäre es spannend geworden. Wie ich später mitbekommen habe, ist es auch für Jenke nach nur 28 Tagen schwierig geworden, wieder zu einem normalen Essverhalten zurück zu finden. Es wäre also möglich gewesen in einer weiteren Folge den Weg ins Leben nach zu empfinden. Denn genau darum geht es in der Therapie.

Seine erste feste Mahlzeit nach der Karrenz ist Currywurst mit Pommes, erbricht Jenke aktiv. Maja Zividaninovic sieht dies als Effekthascherei. Jenke war 28 Tage fast ohne Nahrung. Sein Magen – Darmtrakt war deshalb gar nicht in der Lage, ein so schweres Essen zu verdauen. Klar, dass es ihm Übel und Unwohl wird und er  versucht diese Nahrung wieder los zu werden.

Aus meiner Sicht hat Jenkes Experiment einen entscheidenden Fehler. Das Motiv nicht mehr zu essen. Im Gegensatz zu Jenke beschliessen Menschen mit Essstörungen nicht, auf Nahrung zu verzichten. Das geschieht schleichend. Mehrere Betroffene schilderten mir, dass sie sich ungeliebt fühlten, glaubten nicht hübsch genug zu sein, um beachtet zu werden. Dadurch kamen sie zu der Überzeugung, dass sie nur abnehmen müssten, dann würden sie geliebt. Als dieses Gefühl geliebt zu werden nicht eintraf wuchs in ihnen weiter diese Überzeugung, dass sie eben noch zu dick wären. Und so drehte sich der Teufelskreis. Ich stelle es mir schwierig vor, diese Gefühlswelt, die zur  Essstörung führen, nachzustellen.
Und doch hat mir in Jenkes Experiment die Tiefe gefehlt. Es ist Jenke nicht gelungen, die Problematik hinter der Essstörung darzustellen. Mir ist es in den zwei Jahren, in der ich Menschen mit Essstörungen begleiten durfte, nur ansatzweise gelungen, das gesamte Ausmass dieser Welt in der sie leben, zu verstehen.
„Eine Essstörung ist immer eine Nebenbühne.“ Diesen Satz hörte ich einmal von einer unserer Therapeutinnen. Er wurde mein Leitsatz in der Begleitung. Ich hörte auf in den Bezugspersonengesprächen über Essen oder nicht Essen zu diskutieren. Obwohl die Betroffenen dies sehr gerne getan hätten. Ihnen war es auf der Nebenbühne durchaus wohl. Aber wenn ich mit ihnen dort blieb, unterstützte ich die Essstörung.
Ich beschäftigte mich mit Fachliteratur und entdeckte, dass es darum ging, diese Menschen mit dem Leben zu konfrontieren. Was willst Du in Deinem Leben erreichen? Was machst Du mit Deiner Zeit? Häufig bekam ich auf diese Fragen keine Antwort. Keine Idee, mit was sie sich beschäftigen könnten, wenn nicht mit der Frage, was essen oder besser gesagt nicht essen?
Und es ging um Gefühle. Sich selbst wieder zu spüren, und damit umzugehen. Oft war ich geschockt, wie schwer es diesen Menschen fiel, zu fühlen, diese Gefühle auszuhalten, auf sie zu reagieren.
Eine Patientin hat einmal bei einem Austrttsgespäch gesagt, am meisten habe ihr geholfen, als sie gefragt worden sei was einmal auf ihrem Grabstein stehen soll. Ich hatte diese Frage gestellt, sie war in einem Selbsthilfe Buch. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass auf Ihrem Grabstein einmal stehen soll: Sie wog nur 30 Kilo.“ hatte ich ihr um die Ohren gehauen. Die Patientin fand es hilfreich, weil sie merkte, dass es um etwas anderes ging, als ihr Gewicht.
Jetzt bin ich mit meinem Kommentar etwas abgeschweift. Aber ich würde mir wirklich wünschen, dass auch die Medien sich von der Nebenbühne Essstörung etwas mehr auf die Hauptbühne, was braucht dieser Mensch, um ohne Essstörung leben zu können, begeben würden.


Eure Madame Malevizia

Sonntag, 25. September 2016

Burnout und Depression .- Gedanken zu Göläs Aussagen

Meine Lieben,
Göläs Interview im Blick hat im Netz einige Wellen geschlagen. Es liegt mir fern, mich über seine politische Gesinnung zu äussern, dazu wurde schon genug gesagt. Zu folgenden Aussagen dieses Interviews möchte ich jedoch Stellung beziehen:

In Ihrem Song «La bambala lah» motzen Sie gegen «Penner mit Bier vor dem Denner». Was haben diese Leute Ihnen getan?
Gegen Penner habe ich nichts, aber gegen eine Politik, die zulässt, dass die Leute als «Penner vor dem Denner» enden. Unser System fördert es geradezu, dass junge Menschen das Geld vom Sozialamt erhalten, selbst wenn sie gar nicht krank sind. Und am Schluss hängen viele nur noch herum, trinken Bier und bekiffen sich. Oder sie hocken den ganzen Tag zu Hause und schauen sich dumme Serien an. Das regt mich auf!
Die Schweiz ist also zu lasch mit Sozial­bezügern?
Und wie! Heute kann beispielsweise jeder behaupten, er hätte ein Burnout – und prompt bekommt er Geld und muss nicht mehr arbeiten. Jedes kleine Drama wird dafür missbraucht, vom Staat Geld zu fordern. Immer weniger denken dabei an ihre Pflichten.
Kennen Sie solche Leute?
Oh ja, darum weiss ich, wovon ich spreche. Diese Leute sind kerngesund, aber zu faul, um zu arbeiten. Auf dem Sozialamt wird ihnen nicht einmal ein schlechtes Gewissen gemacht. Im Gegenteil: Man unterstützt sie noch bei ihrem Vorhaben, ohne zu arbeiten durchs Leben zu kommen und wirft
ihnen das Geld nach.
(Quelle: Blick online)
Gölä spricht etwas aus, das ich so oder in anderer Form immer wieder höre. Als Pflegehexe mit Erfahrungen in der Psychiatrie schmerzen mich diese Aussagen. Zu Sozialhilfe und IV Betrug kann ich nichts sagen, über die Abläufe dieser Institutionen weiss ich herzlich wenig. Und über soziale Verantwortung will ich auch nicht diskutieren, da habe ich eine andere Haltung als Gölä.
Mir geht es darum, dass Gölä sich über Menschen äussert, die in höchster Not sind. Weder eine Suchtkrankheit noch ein Burnout, die im weiteren Sinne eine Depression ist (so werde ich es in diesem Text weiter bezeichnen) sind eine Bagatelle im Leben. Beides kann tödlich enden. Ja, auch an einer psychischen Erkrankung kann man sterben. Man nennt es Suizid. So gesehen, sind diese Menschen in Lebensgefahr und haben es ebenso wie jemand mit Krebs oder einer Herzerkrankung verdient, unterstützt zu werden.
Eine Depression lässt sich nicht mit dem sogenannten „Tritt in den Hintern“ lösen. Auch wenn man als Aussenstehender manchmal diesen Eindruck hat. Mir ist es in der Arbeit mit diesen Menschen auch manchmal passiert, dass ich mit der Brechstange eine Bewegung erwirken wollte. Ohne Erfolg. Es ist nicht so, dass diese Menschen nicht wollen. Sie können nicht wollen. Der Zustand in welchem sie sind, ist schrecklich und es braucht viel Energie von aussen, sie zum einen am Leben zu erhalten und sie wieder ins Leben zu begleiten. Wer sie begleitet muss die richtige Balance finden, zwischen Ruhe und Förderung. Eine Gratwanderung.
Sehr viele schaffen es, die Depression zu überwinden. Einige nicht. Ist es wirklich an uns, die das Glück haben diese Krankheit nicht zu kennen, über sie zu urteilen? Sie mit dem Vorwurf des „Schmarotzers“ noch weiter ins Elend zu treiben?
Göla selbst sagt, dass er glaubt selbst auch schon etwas wie ein Burnout gehabt zu haben und sich selbst daraus befreit zu haben. Er hat es offenbar geschafft, trotz Krise seine Struktur aufrecht zu erhalten. Ein sehr wichtiger Punkt. Ich gratuliere ihm zu dieser Leistung und freue mich für ihn. Aber gerade weil er eine Ahnung hat, was eine wirkliche Depression sein könnte, erwarte ich von ihm mehr Empathie für Menschen, die vielleicht nicht so stark sind wie er.
Ich wünsche ihm und auch Euch Gesundheit, sie ist das höchste Gut, das keiner kaufen kann.
In Liebe

Madame Malevizia.

Freitag, 2. September 2016

Der nächste Schritt auf der Reise

Heute war mein Fotoshooting als Madame Malevizia. Ein weiterer Schritt auf meiner Reise. Zuhause machte ich mich bereit. Mit Kleidung, Schminke und Perücke wurde aus mir die Pflegehexe Madame Malevizia. Ich war die Erste, die sie sah, als ich in den Spiegel blickte. Ein wirklich merkwürdiges Gefühl. Noch vor dem Spiegel wurde mir bewusst, heute ist Madame Malevizia geboren. Mit den Bildern von Madame werde ich mich noch mehr exponieren. Bisher konnte ich mich noch ein wenig hinter den Buchstaben verstecken. Sobald die Bilder jedoch auf der Homepage und auf Facebook sind, zeigt Malevizia ihr Gesicht. Vielleicht war ich deshalb so nervös. Auch hatte ich keine Ahnung, was auf mich zukommen würde. Mein Wissen über professionelle Fotos beschränkte sich auf frühere Familienfotos und Germanys Next Top Models.
Und dann kam Eve Kohler, die Fotografin. Mit ihrer offenen natürlichen Art hat sie dafür gesorgt, dass sich der Nachmittag schnell nicht mehr wie ein „ernstes“ Fotoshooting anfühlte, sondern wie ein Treffen mit einer Freundin. Es wurde ein Austausch von Künstlerin zu Künstlerin, von Frau zu Frau. Einfach nur wunderschön. Ich freue mich schon auf die Bilder.

Danke dafür Eve! 

Donnerstag, 1. September 2016

Pflege braucht keine höhere Schulbildung und andere Mythen

Quelle: Augen auf; Facebook am 31.08.16

Meine Lieben,
Diesen Post habe ich auf Facebook auf der Seite „Augen auf“ gefunden. Lese ich die Aussage von Herrn Beck, habe ich ein wenig den Eindruck, der habe zuerst gesprochen und erst danach gedach!
 Ich bin versucht, diesen Menschen mit allen mir bekannten Nettigkeiten einzudecken, und ja, ich wüsste da so einige. Aber das ist nicht mein Stil und würde nichts ändern. Herr Beck nennt einen Mythos, dem ich immer wieder begegne: Der Pflegenotstand kann mit Flüchtlingen, Arbeitslosen und Einwanderern behoben werden. Dieser Mythos kommt immer dicht gepaart mit zwei weiteren Mythen auf: Pflege braucht keine „Studierten“, In der Pflege braucht es nur ein gutes Herz. Ich möchte die Gelegenheit nutzen und auf diese drei Myhten eingehen. Beginnen wir mit dem Mythos dem auch Herr Beck verfallen ist:
Der Pflegenotstand kann mit Flüchtlingen, Arbeitslosen und Einwanderern behoben werden.
Diese Annahme halte ich schlicht für falsch. Bei den Flüchtlingen und Einwanderern beginnt das Problem schon mal bei der Sprache. Ein Grossteil der Arbeit von Pflegenden ist Kommunikation. Sie sprechen mit Ärzten über die von ihnen beobachteten Symptome, die Anliegen der Patienten und besprichen die verordneten Massnahmen. Auch der Kontakt zu Angehörigen, die meist sehr besorgt sind, häufig Ängste haben, die sich in sehr vielen Fragen, erhöhter Aufmerksamkeit zeigen, geht ausschliesslich über die Sprache. Auch mit Patienten sind Pflegende unablässig verbal in Kontakt. Wie soll das gehen, wenn  Pflegende nicht die selbe Sprachesprechen? Ich komme beispielsweise an meine Grenzen, wenn ein Patient französisch oder englisch spricht. Ich bin dieser Sprachen einigermassen mächtig, aber keine ist nicht meine Muttersprache. Ich merke dann, dass ich die Patienten und ihre Angehörigen weniger gut begleiten kann, als ich es bei deutschsprachigen Menschen kann. Spricht ein Flüchtling oder Einwanderer gut Deutsch und hat in seinem Land eine Ausbildung im Pflegebereich absolviert, herzlich willkommen! Der SBK und auch viele Spitäler sind sehr daran interessiert diese Menschen in der Integration in den Berufsalltag zu unterstützen. Die Anzahl dieser Menschen wird jedoch niemals reichen, um den Pflegenotstand zu beheben. Und Arbeitslose in die Pflege? Es herrscht ein FACHkräftemangel! Mit Ungelernten kann dies nicht behoben werden! Ja, Pflegehelfer/Innen leisten einen wichtigen Beitrag in der Gesundheitsversorgung und ohne sie würde es nicht gehen. Eine Pflegefachperson ersetzen sie jedoch nicht. Ich finde es auch nicht gut, Menschen in die Pflege zu „zwingen“. In der Pflege arbeiten, dazu muss man bereit sein, wenn es einem keine Freude bereitet, wird es schwierig und gefährlich.
„Pflege braucht keine Studierten“
Wer so eine Haltung vertritt, zeigt vor allem wie inkompetent er in dieser Thematik ist. Pflege hat nichts mit instinktivem Wissen zu tun, Pflege wird gelernt. Sie ist nicht irgendein konzeptloses herumwaschen. Pflege hat System, Pflege ist extrem komplex, egal wo sie ausgeführt wird. Ja, auch resp. vor allem im Pflegeheim. In meiner gesamten pflegerischen Laufbahn ist mir noch nie ein Patient oder ein Bewohner begegnet, der nur eine einzige medizinische Diagnose hatte. Die Zusammenhänge zwischen diesen muss man sehen können. Ganz abgesehen davon die Symptome dieser, die sonstige physische, die psychische und die soziale Situation des Patienten spielen in der Pflege eine Rolle, das alles muss berücksichtigt werden. Und wie, um alles in der Welt, soll Pflege in einer Welt, in der sich alles um Zahlen dreht, messbar und beweisbar werden, wenn nicht durch Studien? Studien, die von Pflegenden mit Masterabschluss durchgeführt werden müssen, weil ich als Pflegefachfrau am Patientenbett gar nicht weiss, wie ich eine solche durchführen soll, damit diese auch wirklich aussagekräftig ist.
Ich empfinde es jedoch als grosse Bereicherung, dass es jedem Interessierten möglich ist, in die Pflege einzusteigen. Die Ausbildungen sind von Stufe zu Stufe durchlässig. Der Weg Assistentin Gesundheit – Fachfrau/Frachmann Geschundheit – Pflegefachfrau/Pflegefachfmann HF – Bachelor – Master ist möglich. Das ist eine Stärke dieses Gebietes, es bietet viele Perspektiven. Mit der nötigen Motivation ist alles möglich.
„In der Pflege braucht es nur ein gutes Herz“
Diesen Mythos höre ich oft und ich gebe immer diese Antwort: „Es braucht Kopf, Herz und Hand!“ Es braucht einen Kopf, der vernetzt denken kann, eine schnelle Auffassungsgabe hat und über nötiges Fachwissen verfügt.  Ohne Frage, es braucht auch ein Herz, das für die Menschen schlägt. Und es braucht Hände, die pflegerische Verrichtungen geschickt ausführen können. Das eine ohne das andere ist in der Pflege nichts!
Soviel zu diesen drei Mythen in der Pflege.
 Nun wünsche ich Euch Gesundheit, sie ist das höchste Gut, das sich keiner kaufen kann.
Eure Madame Malevizia.