Mittwoch, 30. August 2017

Pflegemythen I - Pflege und die Akademisierung



«Wir meinen, dass durch die Akademisierung viele Begabte, die sich für die Pflege entscheiden würden, aber vielleicht ihre Stärken nicht in der Theorie liegen, ausgeschlossen werden. Das ist unnötig und mit ein Grund für den Arbeitskräfteengpass.»

Diese zwei Sätze, geschrieben von Albert Rösti, Präsident, der SVP Schweiz, zeigen einen, sich sehr hartnäckig haltenden Mythos in der Pflege Auf beide Sätze möchte ich hier eingehen.

«Wir meinen, dass durch die Akademisierung viele Begabte, die sich für die Pflege entscheiden würden, aber vielleicht ihre Stärken nicht in der Theorie liegen, ausgeschlossen werden
Herr Rösti ist nicht der einzige Politiker, der seine Hausaufgaben offenbar nicht gemacht hat. Es ist schlicht falsch, dass es Personen, welche «nur» die Realschule abgeschlossen haben, nicht möglich ist, sich zur Pflegefachperson ausbilden zu lassen. Der Weg führt über Fachangestellte Gesundheit zur Ausbildung Pflegefachperson HF. Ja, das braucht, einen etwas längeren Atem, aber auch nicht mehr, als zu meiner Zeit. Damals brauchte eine Realschülerin (wie ich eine war) drei weitere Jahre mit weiterführenden Schulen und Praktika, bis sie ihren Traumberuf erlernen konnte. Nach diesen drei Jahren, in denen sie zwischen wenig bis gar nichts verdiente, stand sie ohne einen Abschluss da.

Mit dem heutigen Weg, erwerben diese Personen zuerst einen Fähigkeitsausweis und haben nach drei Jahren etwas in den Händen. Aus meiner Sicht, ein klarer Vorteil. Leider hat es die Schweiz verpasst, für attraktive Bedingungen zu sorgen, um möglichst viele Fachangestellte Gesundheit für eine HF – Studium zu rekrutieren. Hier geht viel Potential verloren. Und genau hier sollte die Politik ansetzen.

Das Wort «Akademisierung» steht meiner Meinung nach in dieser Diskussion völlig quer in der Landschaft. Diese hat nie statt gefunden. Die Ausbildung HF bedingt keine Matura und ist auch kein Hochschulabschluss. Die Möglichkeit eines solchen Abschlusses wurde jedoch geschaffen. Er konkurrenziert die HF Ausbildungen jedoch in keinster Weise. Die FH (so heisst das) ist ein Studium. Für dieses Studium entscheiden sich Menschen, die sich eben vor allem für die Theorie interessieren. Sie sind wichtig, für die Pflegenden am Bett. Als Pflegeexpertinnen erarbeiten sie Standards, auf die sich Pflegende stützen können und leisten in komplexen Situationen Support. Politisch gesehen, sind Pflegende mit Hochschulabschluss enorm wichtig. In einem Land, in dem Zahlen über allem stehen, muss auch die Pflege diese vorweisen können.
Kommen wir zum Thema «Begabte». Was heisst begabt? Pflege, so wie sie heute ist und von der schweizerischen Bevölkerung auch erwartet wird, ist keinem Menschen einfach in die Wiege gelegt. Es ist ein Beruf, der körperliche, psychische und geistige Fähigkeiten verlangt. Hat jemand den tiefen ehrlichen Wunsch, diesen Beruf zu erlernen, wird er (oder sie) den vorgegeben Weg gehen, egal wie kurz oder lang dieser sein wird.

"Das ist unnötig und mit ein Grund für den Arbeitskräfteengpass."

Das Wort Arbeitskräfteengpass zeigt eines deutlich. Nur wenige Politiker haben bisher kapiert, dass der Pflege nicht geholfen ist, wenn ihr einfach mehr «Hände» zur Verfügung gestellt werden. Pflegende brauchen nicht mehr Hände, sie brauchen auch die Köpfe dazu. Pflege ist vernetztes Denken und ganz viel Koordination.
Herrn Röstis Aussagen zeigen eines deutlich: In der politischen Landschaft ist das Problem des Fachkräftemangels in der Pflege nach wie vor weder bewusst, noch wird er wirklich ernst genommen.

Es ist an uns, liebe Pflegende, Politiker und Politikerinnen dazu zu bringen, sich ernsthaft mit diesem Problem zu befassen.

Eure Madame Malevizia

Freitag, 11. August 2017

Ein Jahr eine Stimme

Meine Lieben,
Heute ist es genau ein Jahr her, dass ich meine Facebook Seite veröffentlichte. Ich hatte keine Ahnung, was sich daraus entwickeln würde. Ich wusste nur eines: Ich wollte Stimme sein, für die Pflege, ich wollte Stimme sein, aus der Pflege und ich wollte Stimme sein in der Pflege. Auch heute ein Jahr danach, hat sich an diesem Wunsch nichts geändert. Und so wiederhole ich es auch an meinem Geburtstag:
Ich bin eine Stimme für die Pflege:
Es geht mir darum, dass die Gesellschaft da draussen weiss, was Pflegende tun, und welche Auswirkung der Fachkräftemangel auf Pflegende, ihre Berufung und ihre Berufsausübung hat.
Hartnäckig mache ich Politiker auf die Probleme der Pflegenden aufmerksam. Das Gesundheitswesen darf nicht weiterhin auf die Diskussion der steigenden Krankenkassenprämien reduziert werden.

Ich bin eine Stimme aus der Pflege
Seit ich 16 Jahre alt bin arbeite ich in verschiedenen Bereichen der Pflege. Noch heute stehe ich an der Front, direkt am Krankenbett. Ich bin eine Stimme, was ich schreibe, ist meine subjektive Meinung, mein subjektives Erleben. Ich bin eine Stimme. Madame Malevizia ist zwar ein Pseudonym, dahinter steht jedoch ein Mensch. Alle Blogs in meinem Namen, sind auch von mir geschrieben. Das schränkt mich zwar mengenmässig ein, macht mich jedoch authentisch und glaubwürdig. Ich stehe zu jedem einzelnen Wort, dass ich bisher veröffentlicht habe.

Ich bin eine Stimme in der Pflege
Es ist mir wichtig, meinen Berufskolleginnen und Berufskolleginnen zu zeigen, dass wir die Kraft zur Veränderung haben. Ich wünsche mir, sie aus der Lethargie, der Hilflosigkeit heraus zu führen und ihnen jene Macht bewusst zu machen, die wir haben. Mit meiner Tätigkeit als Pflegehexe habe ich mir ein Ventil geschaffen, das, was mich Ohnmächtig macht, mich manchmal fast verzweifeln und aufgeben lässt, auszusprechen.

Kurz vor meinem 1. Geburtstag habe ich zwei grosse Geschenke bekommen. 
Am 10.08. hat meine Facebook – Seite den 200. Abonnenten erreicht, und mein Blogbeitrag „chly chrankeschwösterle“ hat bis heute 21585 Zugriffe. Ich habe keine Vergleiche, wie das bei anderen Blogs ist. Aber für mich, die ich nicht einen Franken in Werbung investiert habe, ist das unglaublich viel! 
Das macht mich demütig und dankbar. Dankbar, für alle diese Menschen, die mit mir gehen.
Das seid Ihr, die meine Blogs lesen und weiter verbreiteten, ohne Euch könnte ich nichts von all dem sein, was ich sein will.

An meinem heutigen Geburtstag möchte ich einigen Wegbegleitern besonders danken.
Als erstes Dir Anna Beck, von Anfang an, gingst Du mit mir, schon bevor ich geboren war, hast Du wichtige Impulse gegeben. Du bist also quasi meine Hebamme. J
Désirée Fessler, beste Schwester ever, für deine ehrlichen und fundierten Feedbacks. Der Austausch mit Dir ist mir unendlich wertvoll und wichtig. Immer wenn ich Angst habe, holst Du mich mich wieder herunter und zeigst mir, dass ich nichts zu verlieren, aber sehr viel zu gewinnen habe.
Meiner Familie, die immer an mich glaubt, mir immer Halt ist.
Markus Stadler, du tratst in mein Leben, als ich kurz die Orientierung verlor. Ohne Dich, gäbe es mich vielleicht nicht mehr.
Eve Kohler, Du hast mir ein Gesicht gegeben, ich liebe die Fotos, die du von mir gemacht hast.
Meinem Team, in dem ich als Pflegefachfrau tätig bin. Aus Datenschutzgründen (meine persönlichen, Euren und denen unserer Patienten) kann ich Eure Namen nicht nennen, aber Ihr wisst, wer gemeint ist. Danke, dass ich Teil von Euch sein darf. Danke, dass ich mit Euch immer wieder das Leben feiern darf.
Meiner PDL (auch hier verzichte ich bewusst auf den Namen), die mir von Anfang wohlgesinnt war und mir jetzt auch ermöglicht, mein Leben so einzurichten, dass ich mein wachsendes Engagement und meine Sehnsucht leben kann.
Dem SBK Bern und Schweiz, auch wenn wir nicht immer einer Meinung sind, ihr habt mir von Beginn an eine Plattform geboten.
Ich freue mich schon auf mein 2. Lebensjahr und bin gespannt, was noch alles kommen wird.
Und wenn ich mir noch etwas wünschen darf, trinkt doch heute ein Glas (was auch immer) auf mich!


Eure Madame Malevizia.

Donnerstag, 3. August 2017

Chli chrankeschwösterle


Meine Lieben,

Immer wieder fällt mir auf, wie wenig die Menschen über den Beruf der Pflegefachpersonen wissen. Jüngere Berufskolleginnen (es sind fast ausschliesslich Frauen), erzählen mir oft, dass sie im Ausgang, wenn sie ihren Beruf offenbaren den Satz zu hören bekommen: „Ach, du tuesch chli chrankeschwösterle.“ Was man leicht als billige Anmache abtun kann, zeigt jedoch deutlich auf, wie wenig Respekt unser Beruf in der Gesellschaft geniesst. Auch in der Politik scheint der Eindruck vom „chli chrankeschwösterle“ sich hartnäckig zu halten. Anders kann ich es mir nicht erklären, dass es Politiker und Politikerinnen gibt, die glauben, die Pflegeinitiative sei nicht nötig.

Ich möchte meine jungen Kolleginnen ermutigen, auf diesen Satz antworten: „Ich mache den Unterschied zwischen Leben und Tod.“

Denn genau das tun wir Pflegefachpersonen (so ist die offizielle Bezeichnung der Krankenschwester in der Schweiz. Darauf lege ich Wert, seit ich auf Google Bilder unter dem Schlagwort Krankenschwester gesucht habe).
Es ist die Pflegefachperson, die Frischoperierte überwachen.
Es sind die Pflegefachpersonen, die bei einem Volumenverlust und den damit zusammen hängenden Blutdruckabfall als erste reagieren
Es sind die Pflegefachpersonen, die den durchgebluteten Verband bemerken.
Es sind die Pflegefachpersonen, die allergische Reaktionen auf Medikamente oder Bluttransfusionen als erste registrieren.
Es sind die Pflegefachpersonen, die eine Atemnot bemerken und erste Schritte einleiten.
Es sind die Pflegefachpersonen, die um frühe Mobilisation, besorgt sind, um Thrombosen und ihre Folgenzu verhindern.
Es sind die Pflegefachpersonen, welche die Hautverhältnisse überwachen, damit Dekubiti vermeiden, sowie Hauterkrankungen wie Pilze oder ähnliches erkennen.
Es sind die Pflegefachpersonen, die an den heissen Tagen darum besorgt sind, dass alte Menschen genügend Flüssigkeit erhalten.
Es sind die Pflegefachpersonen, die bemerken, wenn aus einer Drainage nicht die Flüssigkeit herauskommt, die laut seiner Lage normal wäre.
Es sind die Pflegefachpersonen, welche die Suizidgefahr bei psychisch kranken Menschen einschätzen und sie, wenn nötig in Sicherheit bringen.
Es sind Pflegefachpersonen, die in der Psychiatrie akute Krisen auffangen. Und Menschen in solchen Krisen durch ihre persönliche Hölle begleiten.
Es sind die Pflegefachpersonen, die bei einem Herzkreislaufstillstand mit der Reanimation beginnen, bis das REA – Team da ist.

Ich möchte meine Kolleginnen ermutigen, zu antworten: „Ich bin der Unterschied zwischen würdigem oder unwürdigem Leben und Sterben“

Es sind die Pflegefachpersonen, die Sterbende und ihre Angehörigen bis zum letzten Atemzug und darüber hinaus begleiten. Die dafür sorgen, dass Sterbende keine Angst, keine Schmerzen und keinen Durst leiden müssen.
Es sind die Pflegefachpersonen, die sich darum kümmern, dass volle Einlagen gewechselt werden, dass demente Menschen, die Toilette finden, dass von Kot und Urin verschmutzte Betten frisch bezogen werden.
Es sind die Pflegefachpersonen, die bei depressiven Menschen so lange dran bleiben, bis diese die Kraft aufbringen, ihre persönliche Körperpflege durchzuführen.
Es sind die Pflegefachpersonen, welche die Autonomie von pflegebedürftigen Menschen wahren.
Das alles und noch viel mehr tun Pflegefachpersonen. Sie tun es, unter massivem Zeit – und Kostendruck, der häufig ungefiltert an sie abgegeben wird.
Dies alles zu tun, erfordert nicht nur ein fundiertes Fachwissen und Können, es erfordert auch Herz und seelische Substanz.

„Tuesch chli chrankeschwösterle“
Wenn dann eine Pflegefachperson an einem Abend feiern geht, dann hat sie meiner Meinung nach mehr verdient als diesen abgedroschenen Spruch. Dann hat sie es verdient, Worte des Respekts und des Dankes zu hören, egal in welcher Stimmung das Gegenüber ist.

Eure Madame Malevizia